august | september 2021
island
Island - das Land der vielen Gegensätze
Island, ja oder nein? Wo diese Frage bei Vielen mit einem sofortigen, klaren Ja beantwortet werden dürfte, haben wir uns lange mit einer Antwort schwer getan. Unser Herz sagt ja, unser Verstand nein. Zweifelsohne wissen wir, wie landschaftlich schön und spektakulär Island sein muss. Was uns jedoch bis dato von einer Reise dahin abgehalten hat - und dies ist dann auch der einzige Grund - ist der in den letzten Jahren stark gestiegene Tourismus. Gar von Beschränkungen ist die Rede. Nicht gerade das, was wir suchen. So wird plötzlich Corona zu unserer Chance. Oder zumindest zur Hoffnung - Einreise nur für Geimpfte, noch keine Kreuzfahrtschiffe, keine asiatischen und amerikanischen Touristen. Wenn nach Island reisen, dann jetzt. Und so steigen wir ziemlich kurz entschlossen in das Flugzeug Richtung Reykjavik - drei Wochen Island rufen und die Vorfreude ist riesig, diese Insel entdecken zu dürfen.
Feuer vs. Wasser und Eis
Seit März 2021 ist der Vulkan Fagradalsfjall im Geldingadalir anhaltend aktiv. Heute zwar nicht mehr im gleichen Ausmass wie im Frühling, aber dennoch sind die Chancen intakt, einen Blick auf die glühende Lava werfen zu dürfen. Der Vulkan befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Flughafen, naheliegend dass dies unser erstes Highlight werden soll. Ein Blick auf die Webcam am Tag vor der Abreise zeigt uns, dass er in der Tat aktiv ist: Orange glühende Lavaströme sind deutlich zu erkennen. Dann die Enttäuschung. Als wir in Island ankommen, ist die oberflächliche Aktivität nicht mehr erkennbar. Genau so wenig am nächsten Morgen. Okay, schade! Fassen wir unser nächstes Ziel ins Auge. Ein letzter Blick auf die Webcam soll’s aber nach dem Frühstück und eine Minute vor der Weiterreise doch noch sein. Die Freude ist kaum zu übertreffen, als wir wieder deutliche Aktivität erkennen können. Also Planänderung, nichts wie dahin. Auf eigens dafür angelegten Wanderwegen geht’s den Berg hoch zu einem Aussichtspunkt, unmittelbar vorbei an fast drei Meter hoher, von diesem Frühjahr erkalteter Lava - wobei erkaltet in diesem Fall angenehm warm zum Anfassen bedeutet. Der in der Luft liegende Duft nach Schwefel ist unverkennbar und allgegenwärtig. Oben angelangt, werden wir mit einem wunderbaren Blick auf den Vulkankrater und die fliessende Lava belohnt, auch die laut im Krater brodelnde Lava ist nicht zu überhören. Ein Naturphänomen sondergleichen und einer Vulkaninsel selbstverständlich gerecht werdend.
Die Reise führt uns weiter in den Süden. Was uns bereits ab dem ersten Moment besonders fasziniert, ist das helle, saftgrüne Moos auf dem schwarzen Lavagestein. Diese mystische Farbkombination zieht uns immer wieder in ihren Bann. Entlang der Südküste geht es zu den zahlreichen dort angesiedelten Gletschern und Gletscherlagunen. Natürlich sind Gletscher für uns Schweizer nicht etwas vollkommen Neues, die grosse Anzahl, die Nähe und somit die gute Sichtbarkeit der Gletscherzungen in der wilden Landschaft lassen uns dennoch ins Staunen geraten. Wenn man bedenkt, dass unter den Gletschern meistens Vulkane liegen, wundert man sich kaum, dass Island oft die ‘Insel aus Feuer und Eis’ genannt wird.
Massentourismus vs. Einsamkeit
Diese ersten, einzigartigen Eindrücke können leider nicht darüber hinwegtäuschen, wie überlaufen der Süden ist. Touristen werden massenhaft in grossen Bussen von Spot zu Spot gefahren, das Zeitfenster für’s Fotografieren muss genau eingehalten werden, ehe es weitergeht - Hektik vorprogrammiert. Nein, eine Stimmung des Geniessens der Landschaft will hier nicht so richtig aufkommen. Nicht gerade das, was wir uns gewünscht und erhofft haben. Trotz Nebensaison. Trotz Covid-Reisebeschränkungen. So entscheiden wir uns - zwar schweren Herzens - dafür, den Süden und somit auch einen Teil des Hochlandes vorzeitig Richtung Osten zu verlassen. Es soll sich als weise Entscheidung herausstellen. Denn kaum haben wir diese gefällt, erreicht uns die Nachricht, dass das Hochland aufgrund des vielen Regens in den letzten Tagen auch für einfach modifizierte 4x4 Fahrzeuge wie unseres nicht passierbar ist. Einzige Alternative: der Weg über den Osten. Manchmal müssen gewisse Dinge wohl einfach so sein…
Sobald wir die südöstliche Ecke bei Stokksnes passiert haben, beginnt nicht nur der Himmel schlagartig aufzuklaren, sondern haben wir auch das erste Mal das Gefühl, so richtig “runter fahren” zu können. Auf den Strassen ist deutlich weniger los, grosse Reisebusse begegnen uns in nur sehr geringer Anzahl, auf den Wanderungen sind sehr wenige andere Touristen anzutreffen, ja, eine angenehme und lang ersehnte Ruhe ist nun deutlich spürbar. So geniessen wir während den nächsten Tagen die Ostfjorde, insbesondere den Borgarfjördur bei Bakkagerdi wie auch das östliche Hochland Laugarfell, in vollen Zügen. Diese Stille lässt uns nur erahnen, was wir uns im Norden und Westen der Insel erhoffen dürfen.
Regen vs. Trockenheit
Natürlich, wenn man nach Island reist, rechnet man mit Regen. Mit viel Regen. So soll es auch während den ersten Tagen im Süden nicht anders sein. Ungewöhnlich ist dies nicht. Die Regenmenge im Land ist oftmals unterschiedlich verteilt. Während im Süden und Hochland der Niederschlag doch allgegenwärtig zu sein scheint, macht sich im Osten und Norden eher eine Trockenheit bemerkbar. Nicht nur, dass in diesen Regionen effektiv gefühlt immer die Sonne scheint, sondern auch die Wasserfälle sind kaum mehr als solche zu erkennen. Und das, wo Island doch vielmals auch das Land der tausend Wasserfälle genannt wird. Ein Wasserrinnsal wäre mancherorts wohl der passendere Begriff. So ist beispielsweise der berühmte Hengifoss in Bezug auf die Wassermenge eine ziemliche Enttäuschung, der geringe Wasserstrahl wird oben an der Kante noch gänzlich zerblasen.
Wünscht man sich am einen Orte etwas mehr Wasser, dürfte es anderswo etwas weniger sein. Die gegenteilige Situation treffen wir nämlich in der Nähe des Hochlandes an. Der berühmte Studlagil Canyon mit seinen rötlich schimmernden Basaltsäulen führt derart viel Wasser, dass wohl die Säulen unverkennbar sind, die Tritte in Form von Treppenstufen, welche das Gesamtbild üblicherweise so spektakulär machen, gänzlich im Flussstrom untergehen.
Generell spielt Wasser auf Island eine bedeutende Rolle. Tausende Wasserfälle, einer spektakulärer als der andere. Und ganz ehrlich, ja, wir werden ziemlich wählerisch mit der Zeit und begeben uns nicht mehr zu Jedem. Natürlich sind die in den Reiseführer meistgenannten Wasserfalle zweifelsohne imposant, aber bei dieser riesigen Anzahl an Wasserfällen ist es fast selbsterklärend, dass es noch so viele weitere imposante Wasserfälle gibt. Seien sie gross, breit, laut und ohrenbetäubend, oder aber klein und flach - für Wasserfall-Liebhaber und für Fotografen, welche gerne mit Langzeitbelichtungen spielen, ist Island wirklich ein wahres Paradies.
Natürlich ist die Niederschlagswahrscheinlichkeit und somit die Bewölkung des Himmels auch für ein anderes Phänomen von Bedeutung. So erlauben wir uns im Osten das erste Mal einen Gedanken zuzulassen, den wir bis anhin im Süden weit hinten angestellt hatten: Nordlichter. Ende August ist zwar bezüglich der Dunkelheit noch nicht ganz die optimale Zeit für Sichtungen - es ist noch sehr lange hell und wird es auch bereits früh wieder. Aber ein kleines Zeitfenster absoluter Dunkelheit ist gegeben und aus eigener Erfahrung wissen wir, dass es somit nicht unmöglich ist, Ende August die ersten Nordlichter zu erspähen. Die Vorhersagen - sowohl für das Wetter wie auch für den Sonnensturm - sehen vielversprechend aus. Und wir sollen nicht enttäuscht werden: Bereits in der zweiten Nacht im Osten dürfen wir das Spektakel am Himmel einmal mehr hautnah miterleben. Pure Magie!
Flachland vs. Fjorde
Kaum zu glauben, aber die Ruhe im Osten war tatsächlich nur ein Vorgeschmack auf die Stille und Einsamkeit, die uns im Norden und Westen erwartet. Das Sehenswerte in diesen Teilen der Insel ist wohl, dass es nicht viel zu sehen gibt, ausser viel, sehr viel Natur. Wie gut sich das anfühlt, genau nach unserem Geschmack. Wir begeben uns auf einsame Wanderungen, erkunden entlegene Halbinseln, halten entlang der Strasse ohne nachfolgende Autos, sind die einzigen Gäste in Hotels und Restaurants. Ja, nun sind wir auch gefühlsmäßig mehr als angekommen in Island. Während der nördliche Teil der Insel eher flach und von Landwirtschaft geprägt ist, erwartet uns im Westen eine Fjordlandschaft seinesgleichen, die Westfjorde. Wir sind total fasziniert von der Kombination der schroff und steil aufragenden Felsen und dem Meer. Dass in die äussersten Fjorde oftmals nur nicht enden wollende Schotterstrassen führen, passt perfekt ins Bild und verstärkt den inzwischen längst schon vorhandenen Eindruck, am Ende der Welt und in vollkommener Abgeschiedenheit angekommen zu sein, wo nur die Natur existiert und der Mensch höchstens geduldet ist. Das Tüpfelchen auf dem i: Wir finden gar unseren eigenen Fjord, den Siglufjördur :-)
Und wo eine Insel mit ihren Fjorden ist, ist ein Strand in der Regel nicht weit weg. So soll es auch in Island nicht anders sein. Nach dem üblichen weissen oder gelben Sandstrand sucht man jedoch vergeblich. Was aber keinesfalls tragisch ist. Denn vorfinden tut man etwas viel Spezielleres: meistens ist der Sand auf Island pechschwarz. Dies hat seinen Grund in der Erosion von vulkanischem Gestein. So sind die einsamen, naturbelassenen, schwarzen Strände oftmals Orte von wilder, mystischer und dramatischer Schönheit. Wenn zusätzlich eine Nebelstimmung die ganze Szenerie umhüllt, kann einem durchaus das spezielle Gefühl von einer gewissen Surrealität erfassen. Eine der Ausnahmen bildet Raudasandur ganz im Westen der Insel. Der atemberaubende Strand erstreckt sich über mehrere Kilometer, die Muscheln lassen den Sand rötlich-goldig schimmern - zusammen mit den schwarzen Felsen im Hintergrund einfach ein wahnsinnig spektakuläres Landschaftsbild.
Natürliche Quellen vs. moderne Spas
Nebst allen weiteren Höhepunkten unserer Reise sind wir uns schnell einig, dass unser persönliches Highlight die vielen natürlichen Geothermal-Quellen sind. Badeanstalten sind allgegenwärtig. Mit etwas Humor stellen wir fest, dass dies unsere allerersten gemeinsamen Badeferien überhaupt sind. Kaum eine Möglichkeit für ein warmes Bad lassen wir uns entgehen. Wie wir diesen Aspekt der isländischen Kultur lieben. So lernen wir mit der Zeit allerhand verschiedene Formen und Ausgestaltungen von warmen Quellen kennen. Wer es ganz natürlich mag, legt sich einfach in einen warmen Bach, wie beispielsweise im Reykjadalur. Wer ein kleines bisschen Komfort möchte, begibt sich in einen einfachen Pot oder Pool, in dem das Wasser gefasst wird. Und wer sich an den hierzulande bekannten Spas orientieren möchte, kommt in vielen modernen Einrichtungen auf seine Kosten, in gross und klein, mit Wassertemperaturen stets um die 40°C. Natürlich auch eine Frage des Preises - je komfortabler, desto teurer der Eintritt. Alle haben ihren eigenen ganz besonderen Reiz, darum: alles ausprobieren. Wir möchten keine einzige dieser Erfahrungen missen.
Qualität vs. Quantität auf der Speisekarte
Nein, kulinarisch ist Island wahrlich nicht weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Also hatten wir auch gar keine grossen Erwartungen an das Essen. Auf den ersten Blick scheint sich dieser Eindruck auch zu bestätigen. Die Speisekarten sind jeweils doch sehr klein und spartanisch gehalten, überall sind ähnliche Gerichte zu finden: ein Fish of the Day, ein Lammgericht und ein Burger. Es scheint, als hätten sich die Essgewohnheiten seit der Besiedlung der Insel nicht gross verändert. Nicht dass uns das stören würde. Aber wie gut, dass es einen zweiten Eindruck gibt. Denn trotz der kleinen Auswahl ist nicht nur die Qualität und Frische der Speisen, sondern auch die Anrichtung auf dem Teller einfach unübertrefflich. So werden wir nicht ein kleines bisschen müde, bis ans Ende der Reise eines dieser drei Gerichte immer und immer wieder zu verspeisen. Aber damit nicht genug. Ein ganz besonderes Dessert, das wir - wie könnte es anders sein - stets auf der Speisekarte antreffen, ist der Skyr Cheesecake. Jede und Jeder scheint sein alt überliefertes Hausrezept zu haben, so dass wir mit jeweils grosser Vorfreude gerne immer wieder eine neue Variation testen.
Meeresbewohner vs. Säugetiere
Dass Island über einen artenreichen Fischbestand verfügt, ist nicht weiter verwunderlich, ist es doch mithin ein wichtiges wirtschaftliche Standbein. Und wo es Fische gibt, sind die Seevögel nicht weit. Mit etwas Glück dürfen wir in Dyrholaey die süssen Papageientaucher während ihrer letzten Tage auf dem Festland sehen, bevor sie das Winterhalbjahr auf dem Wasser verbringen werden. An der Nordküste treffen wir auf einem einsamen, der Insel vorgelagerten Felsen eine grosse Kolonie Basstölpel.
Island ist auch bekannt für die Wale. Vor allem in den Wintermonaten kann man die sanften Meeressäuger gut beim Jagen in den fischreichen Fjorden beobachten. Es sind vor allem Orcas, Pottwale und Buckelwale, welche sich in den isländischen Gewässern tümmeln. Natürlich halten wir immer wieder von den Ufern der wilden Fjorde aus ein wenig Ausschau nach Walen. Und dann, als wir uns gerade in den Westfjorden auf dem Weg nach Djupavik befinden, haben wir endlich das Glück, etwas im Meer zu entdecken. Die aufsteigenden Wasserfontänen der ausstossenden Luft lassen uns schnell erahnen, dass sich da ein Wal befindet. Leider zu weit entfernt, um selbst mit dem Teleobjektiv brauchbare Aufnahmen zu machen. So fliegen wir kurzerhand mit der Drohne rund 1.5 Kilometer ins Meer hinaus und können spektakuläre Videoaufnahmen eines Buckelwals machen. Was für ein tolles Erlebnis.
Natürlich leben auf Island auch Säugetiere. Unter ihnen sind unverkennbar Islandpferde und Schafe in der grössten Anzahl vorhanden. Während der Sommermonate lassen die Pferdezüchter ihre Schützlinge frei in den Bergen laufen. Das Bild, wenn eine Herde dieser majestätisch anmutenden und kräftigen Vierbeinern an einem vorbei galoppiert, lässt doch ein wenig das Gefühl von vollkommener Wildnis und Freiheit aufkommen. Nur zu gerne wären wir auch dem Polarfuchs begegnet, welcher in Island das grösste, an Land und frei lebende Säugetier ist. Im Gebiet von Hornstrandir auf den Westfjorden gibt es Schutzgebiete eigens für die flauschigen Pelzträger. Sobald die Touristensaison Mitte August vorbei ist, werden jedoch alle offiziellen Bootsverbindungen eingestellt, so gibt es leider für uns kein Hinkommen, und wir müssen uns wohl oder übel mit einer Sichtung aus rund hundert Metern begnügen.
Unser persönliches Fazit
Zurück zur Ausgangsfrage: Island ja oder nein? Definitiv ein grosses JA! Aber für uns persönlich ohne den Süden. Zumindest wenn man es eher einsam, ruhig und abgeschieden mag. Natürlich sind im Süden einige Highlights angesiedelt. Aber es gibt ja noch so viele andere. Die Natur in Island hat derart vieles zu bieten, so würden wir ein anderes Mal dem Motto ‘Mut zur Lücke’ getreu auf diesen Teil der Insel verzichten. Denn landschaftlich ist die Insel an Schönheit, Vielfalt und Einzigartigkeit wohl kaum zu übertreffen. Ja, wir geben es gerne zu, das Island-Fieber hat uns infiziert!