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august 2020

schweden trekking

9-tägiges Trekking im schwedischen Jämtlandsfjäll

 

Zugegeben, es war nur Plan B. Wobei das ‘nur’ keinesfalls abwertend zu verstehen ist. Schweden ist immer eine gute Destination. Nur Norwegen wäre vermeintlich noch ein kleines bisschen besser. Und genau das wäre Plan A gewesen. Aber das ging halt nicht, Corona lässt grüssen. Dieses Risiko war uns von Anfang an bewusst. Aber wir waren so sehr euphorisch bei der Buchung, wohl zu euphorisch. Aber wie gesagt, Plan B befanden wir für mindestens genauso gut. Also planten wir eine knappe Woche vorher alles um. Und wir sollten nicht enttäuscht werden. So brechen wir Mitte August 2020 zusammen mit unserem Freund Martin Richtung Norden auf.

 

Die Tour

 

Das Jämtlandsfjäll bietet den grossen Vorteil eines endlos erscheinenden Wanderwegnetzes, welches uns ermöglicht, eine beliebig grosse Rundtour zu laufen. Ausgangspunkt ist die Fjällstation Storulvån, wo wir auch unser Auto für die Dauer des Trekkings stehen lassen dürfen. Bevor es aber los geht, ist Rucksack wiegen an der eigens dafür geschaffenen Vorrichtung angesagt. Dass unser Gepäck schwer ist, ist uns natürlich durchaus bewusst, ab den Zahlen staunen wir dann aber doch nicht schlecht. Sandra wird mit 20 kg am Rücken loslaufen, Martin mit 29 kg und Roger mit 31 kg. Ein kleiner Lichtblick: Das Essen wird von Tag zu Tag weniger und somit der Rucksack leichter werden.

 

Als erstes ist der Anstieg Richtung Blåhammaren unter die Füsse zu nehmen, um überhaupt richtig ins Fjäll zu gelangen. ‘Fjäll’ ist der Begriff für Berge oder Hochflächen oberhalb der Nadelwaldgrenze, also eigentlich das Gebirge, welches sich aber oft als weitläufige Hochplateau präsentiert. Genau so sieht das Jämtlandsfjäll aus: Die Landschaft ist hügelig, in den Senken bilden sich oft Seen, am Waldrand besteht die Vegetation u.a. aus vielen Fjällbirken, und in der Felsregion aus Gräsern, Moosen, Kräutern und Flechten. Nach Blåhammaren wandern wir weiter Richtung Südwesten, immer mit einem wunderbaren Blick über den langgezogenen See Nesjoen und in Richtung der norwegischen Berge. Sobald wir uns wieder Schweden zuwenden, gilt es auch schon, das Sylarna-Massiv zu durchqueren. Nebst einem steilen Anstieg bedeutet dies vorallem eine Wanderung durch eine graue kahle Steinwüste, das sogenannte Kalfjäll. Ton in Ton zu dieser grauen Landschaft bilden die nun auf dieser Höhe herrschenden Nebelwolken eine mystische Ergänzung. Nach dem Abstieg und dem Abzweiger ostwärts Richtung Helags tauchen wir sofort wieder in das typische hügelige Fjäll ein und geniessen für lange Zeit einen grossartigen Weitblick über die Hochebene. Nach dem Passieren des Helagsmassives wenden wir uns wieder Richtung Norden zu, Richtung Storulvån, Richtung Ende der Tour. Wir steigen dazu auf unzählige Bergrücken auf, um anschliessend wieder in die saftig grünen Täler mit breiten Flussläufen abzusteigen und diese über eine Brücke oder durch den Fluss watend zu durchqueren. 

 

So legen wir in 9 Tagen insgesamt 136 km in einer Region zurück, die landschaftlich unglaublich vielfältig ist - Fjäll, Kalfjäll, Seen, Flüsse und grüne Täler, eine wunderbare Abwechslung. Besonders bekannt ist das Jämtlandsfjäll übrigens für den Klassiker ‘Jämtlands-Dreieck’ - sind wir aber von diesen Strecken weg, treffen wir nur auf sehr wenige andere Wanderer. Dafür begegnen wir umso mehr einer anderen Kreatur: den Rentieren. Diese sind zwar scheu, aber nicht derart scheu, dass sie gleich meilenweit davon rennen, und lassen sich so wunderbar beobachten.

 

Das Wetter

 

Ja, das Wetter ist natürlich immer und überall ein grosses Thema, umso mehr, wenn man 9 Tage zu Fuss und mit dem Zelt unterwegs ist, und sich vor den Naturgewalten nur beschränkt in Schutz bringen kann. In erster Linie denkt man da natürlich an starken Regen und Wind, so ist es doch im Norden, oder? Für uns vermeintlich das Tüpfelchen auf dem i, dass es im Norden kühler ist, und wir der hier in der Schweiz herrschenden Sommerhitze entfliehen können. Weit gefehlt. Die ersten drei Tage erleben wir einen schwedischen Sommer vom feinsten, mit strahlend blauem Himmel, dementsprechend viel Sonnenschein und warmen Temperaturen um die 25 Grad. Phu, ganz schön warm, um mit so viel Gewicht am Rücken in den Bergen umher zu wandern. Aber die Vorteile dieses schönen Wetters möchten wir natürlich keinesfalls missen - wir geniessen die angenehm warmen Sommerabende sehr, an denen wir bis zum Sonnenuntergang vor dem Zelt sitzen können, und das ohne auch nur ansatzweise zu frieren. Auch den ersten Kaffee oder Tee am Morgen mit Sonnenstrahlen im Gesicht trinken zu können, ist unbeschreiblich. Auch die weiteren drei Tage soll sich nicht allzu viel ändern. Es wird wohl etwas kühler (oder sagen wir angenehmer), es tauchen vermehrt Wolken auf - für uns das perfekte Trekkingwetter. Nur ein Luxusproblem beschäftigt uns dann doch etwas: Jetzt haben wir extra unsere alte Regenkleidung mit einer Neuen ersetzt - ob wir die wohl noch einmal testen dürfen? Wir sollen uns bis zum letzten Drittel der Tour gedulden müssen. Da fallen erste Regentropfen. Jedoch derart wenige, dass kaum sind die Regenkleider angezogen, diese auch schon wieder ausgezogen werden müssen. Die Regenkleidung wird eher zum Windschutz. Denn zwischenzeitlich wird auch der Wind mit jedem Tag stürmischer. Wir merken dies nicht nur in Form des Gegenwindes beim Laufen und am Flattern unseres Zeltes, sondern staunen nicht schlecht, als uns entgegenkommende Wanderer von Windgeschwindigkeiten bis 90 km/h und zusammen gelegten Zelten im Sylarna-Massiv erzählen.

 

Damit wir dann neben Sommer- und Herbstwetter auch noch eine weitere Jahreszeit erleben dürfen, wird es am letzten Abend derart kalt, dass der abendliche starke Regen plötzlich in Schnee umschlägt, und innert Minuten nicht nur unser Zelt eine weisse Schicht hat, sondern die ganze Umgebung in diese Farbe verwandelt wird. Mit dem starken Wind ist es eisig kalt. Aber ganz ehrlich: Wir waren eher auf diese Gegebenheit vorbereitet als auf die 25 Grad anfangs der Tour...

 

Die Gefühle


9 Tage am Stück draussen in der Natur sein, an der frischen Luft, in absoluter Ruhe und nur mit den allernötigsten Dingen bepackt, bedeutet für uns eine grosse Freiheit. Das schwedische Jedermannsrecht ermöglicht uns zudem, unser Zelt überall aufzuschlagen und so an besonders schönen Spots übernachten zu dürfen. Sei dies direkt an einem See, inmitten der Berge oder mit einer wunderschönen Aussicht. Da weiss man kleine Goodies wie ein all-abendlicher Schluck Whisky aus dem mitgeführten Flachmann, eine warme Waffel mit Blaubeer-Marmelade in einer Berghütte oder ein dort gekauftes und eigens mit getragenes Bier zum Apéro vor dem Zelt unglaublich zu schätzen. Vermeintlich kleine Dinge erlangen so eine Bedeutung und Wertschätzung, wie wir sie sonst im Alltag kaum mehr erleben. Nebst den vielen schönen Erinnerungen nehmen wir eine grosse innere Ruhe und Zufriedenheit mit nach Hause, die uns hoffentlich möglichst lange im Alltag erhalten bleibt.

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