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märz | april 2023

spitzbergen

Spitzbergen - eine arktische Expedition ins Land der Polarbären

 

Es ist die Abgeschiedenheit, die uns schon seit jeher reizt. Die extremen Lebensumstände. Die harten Winter. Die Kälte. Was ist da naheliegender, als nach Spitzbergen, in den Archipel im Eismeer zwischen dem norwegischen Festland und dem Nordpol, zu reisen? 

 

So landen wir, zusammen mit unserer Freundin Jane, Ende März 2023 in Longyearbyen, dem mit rund 2’300 Einwohnern größten Ort und Verwaltungszentrum der von Norwegen verwalteten Inselgruppe Spitzbergen und einer der nördlichsten Orte der Erde. Das Straßennetz ist nur etwa 40 Kilometer lang und stellt keine Verbindung zu einem der anderen Orte auf Spitzbergen her. Schneemobile und Boote sind daher die Hauptfortbewegungsmittel. Longyearbyen ist für die meisten Touristen das Eingangstor nach Spitzbergen. Die Stadt gilt als Startpunkt für Ausflüge und Exkursionen in die Umgebung - so auch für uns. Den ersten Nachmittag nutzen wir, um erste Eindrücke dieser fast unwirklichen Welt zu sammeln. Es herrscht eine ganz spezielle Atmosphäre in dieser kleinen Stadt mit ihren farbigen Holzhäuschen. Es ist alles weiss, es geht sehr ruhig zu und her, ja die über der Stadt schwebende alte Kohletransportbahn verleiht geradezu eine nostalgische Note, und dennoch lässt sich eine kleine Hauptstrasse erkennen, die alles für den täglichen Bedarf und Vergnügungen bereithält: Nahrung, Kleidung, Equipment, Gastronomie.

 

Fun fact zu Longyearbyen: Es gibt zwei ‘Verbote’, die wohl in dieser Form an keinem anderen Ort der Welt existieren. Gebären und sterben auf Spitzbergen ist nicht erlaubt. Jedenfalls nicht vorgesehen. Es gibt in Longyearbyen zwar ein Krankenhaus, aber nur für Notfälle. Und eine Geburt ist kein Notfall. So werden schwangere Frauen drei Wochen vor dem errechneten Termin ausgeflogen. Gleiches gilt für all jene, die nicht mehr für sich selbst sorgen können. Um zu sterben, muss man sich auf das norwegische Festland begeben – oder wird eben nach dem Tod dorthin gebracht, um begraben zu werden. Das liegt daran, dass es auf Spitzbergen das ganze Jahr über so kalt ist, dass der Boden hier permanent gefroren ist. Begräbt man Leute im Permafrost, kommen ihre Leichen früher oder später wieder an die Oberfläche - und das will man ja nicht.

 

Hundeschlittentour - ein sanfter Einstieg in die arktische Welt

 

Bevor unsere ‘wirkliche’ Expedition startet, bleibt genügend Zeit für ein erstes kleines Abenteuer, eine Hundeschlittentour mit https://www.svalbardhusky.no/. Nach einer Einführung durch unseren Guide zu den Hunden und dem Hundeschlitten Leben haben wir dann die Möglichkeit, im offenen Zwinger herumzugehen und mit den Hunden zu kuscheln. Diese sind alle sehr freundlich und aufgeschlossen, und freuen sich, neue Freunde zu finden. Wir lernen, wie man seine eigenen Hunde anspannt, und dürfen unser Hund Team dann sogleich eigens an den Schlitten legen. Und schon geht’s los, wir fahren hinaus in die Wildnis, in eines der vielen umliegenden Täler, ins Todalen. Wie immer sind die Huskys natürlich mehr als bereit, alles zu geben. Die Kraft und Leidenschaft der Hunde für das Laufen ist unglaublich eindrücklich. Während wir sanft im Schlitten dahingleiten - wobei wir selbst Musher sein dürfen - versetzt die vorbeiziehende arktische Landschaft, inklusive Rentieren, einen schlagartig in eine andere Welt. Es gibt nur die Natur, die Hunde und uns. Selbstverständlich bringen wir nach der Schlittentour die Hunde wieder eigenhändig an ihr Plätzchen zurück und geniessen bei heissen Getränken und Keksen die wohlige Wärme und den Rückblick auf das erste arktische Erlebnis. Wir haben das Gefühl, bereits am ersten Tag die Schönheit und Endlosigkeit der weissen und kargen Landschaft erlebt zu haben. 

 

8 Tage auf dem Expeditionsschiff MS Freya

 

Keineswegs wollen wir dieses erste Erlebnis schmälern, doch nun beginnt das richtige Abenteuer. Wir begeben uns an Bord des Expeditionsschiffes MS Freya, zusammen mit unseren Guides Melissa und Fred von https://www.themotherbear.com/ und Lianna. Ziel während den nächsten Tagen ist es, so viel wie möglich zu sehen und zu erleben, was die Arktis anzubieten hat. Die exakte Route wird von Tag zu Tag bestimmt durch die Eis- und Wetterkonditionen. So reisen wir ab Longyearbyen während 8 Tagen tief in das Land der Eisbären, der Westküste folgend bis hinauf an die Kante des Nordpol-Packeises. Schnell realisieren wir, dass wir dabei eine der beeindruckendsten und dramatischsten Landschaften erleben dürfen, die wir je zu Gesicht bekommen haben: wunderschöne eisige Fjorde, zerklüftete, schneebedeckte Berge, imposante Gletscher, kristallklare Gewässer und eine spektakuläre Tierwelt in einer der extremsten und abgelegensten Regionen dieses Planeten zeigen sich uns während dieser kurzen Zeit. Wir fahren durch Drifteis, navigieren um Gletscher und Eisberge, machen Ausflüge mit dem Zodiac, und geniessen an Deck die absolute Stille, fernab jeglicher Zivilisation. Es gibt keinen Empfang, es gibt nur das Schiff, uns und die Arktis - wir fühlen uns wahrhaftig wie in einer Bubble, abgeschnitten von der Aussenwelt.

 

Besonders fasziniert sind wir von den vielen verschiedenen Lichtstimmungen, die sich uns zu jeder Tageszeit präsentieren. Wir erachten die Reisezeit März daher als besonders geeignet, die Polarnacht ist vorüber, und die Mitternachtssonne ist noch nicht da. Wir erleben mystische Szenerien mit Mischungen aus Licht und Nebel und Sonnenuntergänge mit besonders intensiven Farben. Nie wird man müde, noch ein weiteres Mal an Deck zu gehen, um einen erneuten Blick davon zu erhaschen. Dabei macht uns die eisige Kälte von über -20 Grad, verbunden mit dem Windchill-Effekt gefühlt noch einige Grad kälter, erstaunlicherweise wenig aus. Zum Einen sind wir natürlich in puncto Kleidung gut vorbereitet - viele Schichten, eine extrem dicke Daunenjacke, Kopfbedeckung und sehr warme Handschuhe sind Pflicht - zum Anderen fühlt es sich wie selbstverständlich an, dass diese Temperaturen hier herrschen. Alles andere wäre nicht die Arktis zu dieser Jahreszeit.

 

Die Magie und Wichtigkeit des Eises in der Arktis

 

Wir sind unglaublich fasziniert vom Eis. Nie hätten wir gedacht, dass es so viele unterschiedliche Arten und Formationen von Eis gibt. Bisher war Eis einfach Eis, nun wissen wir aber, dass Eis niemals gleich Eis ist. Die Magie des Eises ist aber nur das Eine. Das Eis in der Arktis ist nämlich nicht nur wunderschön, sondern spielt auch eine wichtige Rolle bei der Regulierung des globalen Klimas. Es reflektiert Sonnenlicht zurück ins Weltall und hält so die Erde kühl. Schmilzt das Eis in der Arktis, wird weniger Sonnenlicht reflektiert, was zu einer Erwärmung der Erdoberfläche führt und den Klimawandel verstärkt. Auch ist das Eis in der Arktis der Lebensraum für viele Tiere, wie zum Beispiel Polarbären, Robben und Walrosse. Diese Tiere sind eng an das Eis und das Ökosystem der Arktis angepasst und sind von der Eisschmelze direkt betroffen. Ohne das Meereis haben beispielsweise Polarbären Schwierigkeiten, Nahrung zu finden und zu jagen, und sie müssen längere Strecken zurücklegen, um an die Nahrung zu kommen, was sie erschöpft und ihre Überlebenschancen verringert. Der Klimawandel und damit die Eisschmelzung in der Arktis sind ein komplexes Problem. Um dieses zu verlangsamen, ist es wichtig, dass wir alle gemeinsam dazu beitragen, die Eisschmelzung in der Arktis zu verlangsamen und den Lebensraum der Polarbären und anderer arktischer Tiere zu erhalten. Jede einzelne Massnahme zählt. Natürlich ist der Klimawandel auch auf dem Schiff ein grosses Thema. Immerhin sind wir alle sehr daran interessiert, unser Klima möglichst zu schützen, dennoch fliegen wir in die Arktis. Die Botschaft unserer Guides nehmen wir nur allzu gerne mit nach Hause: Kommt her, seht den Wandel mit eigenen Augen, geht nach Hause, erzählt davon und verbreitet es. Und genau das tun wir.

 

Der Eisbär - ein Statement aus Sicht eines Fotografen

 

Natürlich, zur arktischen Welt gehört auch der Eisbär. Es wäre gelogen zu sagen, dass dieses majestätische Tier nicht einer der Hauptgründe war, um nach Spitzbergen zu fliegen. Selbstverständlich hoffen wir darauf, einen Eisbären aus nächster Nähe sehen zu dürfen. Wie überall in der Tierwelt gilt aber auch hier: Die Natur bestimmt die Regeln. Und diese werden von unseren Guides konsequent eingehalten. Wir spüren keinen Bären auf, er darf sich nähern, wenn er möchte. Es ist äußerst wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass wir Gäste in ihrem Zuhause sind. Es ist eine harte Welt, und viele Tiere kämpfen um ihr Überleben auf Svalbard. Respekt zu zeigen ist entscheidend, und unsere Crew tut immer alles, um nicht zu stören oder Spuren zu hinterlassen. Uns ist schlussendlich das Glück vergönnt, einen zu sichten, wobei ehrlicherweise gesagt werden muss, dass im ersten Moment die Enttäuschung da ist, dass der Bär sich doch in einiger Distanz aufhält. Aber worum geht es eigentlich in einem solchen Moment? 

 

Zitat von Roger: “Ich gehöre zu den Fotografen, die grossen Wert auf tolle Tieraufnahmen legen. Auf Instagram gibt es einige sehr talentierte Naturfotografen, die Tage, vielleicht sogar Monate in der Natur verbringen, bis sie das perfekte Bild haben. Vor diesen Fotografen zolle ich allerhöchsten Respekt für ihre wertvolle Arbeit. Natürlich habe ich mir auch solche Aufnahmen gewünscht. Welcher Wildtierfotograf träumt nicht davon? Die Arktis hat mich jedoch eines Besseren belehrt. Ich habe auf unserem Trip unzählige Stunden bei eisigen Temperaturen mit dem Feldstecher auf dem Deck verbracht, in der Hoffnung, einen Eisbären zu sichten. Dabei genoss ich ebenso die unendliche Weite, die Ruhe, der peitschende, erbarmunglose Wind. Die unendliche Schönheit dieser Landschaft hat mich zutiefst bis in mein Herz berührt. Und da stand er plötzlich, in weiter Ferne: Der Eisbär. Obwohl er einige hundert Meter entfernt war, konnte ich seine Kraft, seine Eleganz und seine Präsenz spüren. Er war gerade mit dem Verzehr eines Rentiers beschäftigt. Ein Bild, das man leider erst seit ein paar Jahren sieht. Denn normalerweise gehörten Rentiere nicht zum Speiseplan des Eisbären. Sie wurden es jedoch, da der Eisbär aufgrund des schmelzenden Eises nach Alternativen suchen musste. In der aktuellen Jahreszeit kämpfen die Rentiere selber mit Nahrung und sind somit im Vergleich zu Seehunden keine nahrhafte Beute. Der Klimawandel und die immer wärmer werdenden Winter machen den Eisbären zu schaffen. Gleichzeitig stossen auch zwei Polarfüchse zum Dinner. Diese folgen häufig den Eisbären, mit der Hoffnung, auch etwas von der Mahlzeit abzubekommen. Eine unglaubliche Szenerie, die sich mir bot und ich nie vergessen werde. Es sind genau diese Momente für mich als Fotograf, aber vor allem als menschliches Wesen, die so unbezahlbar sind. Es ist nicht immer das perfekte Bild, sondern die Geschichte und das Erlebnis dahinter. Eine tragische Geschichte, welche uns  zeigt, dass es fünf vor zwölf ist und das fragile arktische Ökosystem langsam aus dem Gleichgewicht gerät. Noch ist es nicht zu spät. Noch können wir unser Verhalten verändern und der Natur etwas zurückgeben. Jeder kleine Beitrag zählt, das Bewusstsein unseres Konsumverhaltens, unseres Lebensstils. Das muss jeder für sich ausmachen. Schlussendlich haben wir nur einen Planeten.”

 

Rückblickend betrachtet schätzen wir uns einfach nur glücklich und sind voller Demut, überhaupt einen Eisbären gesehen zu haben. Im Laufe dieser wenigen Tage stossen wir auf eine unglaubliche Vielfalt an Wildtieren. Nebst dem Eisbären sichten wir unzählige Robben, Walrosse, Polarfüchse und Rentiere, alle in ihrem natürlichen Lebensraum.

 

And last but not least: neue Freundschaften entstehen

 

Auf dieser Expedition geht es nicht nur um die atemberaubenden Landschaften oder die faszinierende Tierwelt, die wir glücklicherweise erleben dürfen. Während unserer Zeit an Bord der MS Freya werden wir von gleichgesinnten Abenteurern begleitet, die alle darauf brennen, diesen abgelegenen Teil der Welt zu erkunden. Die gemeinsame Leidenschaft für die Natur und der Wunsch, etwas wirklich Besonderes zu erleben, schweissen uns ab der ersten Minute zu einer eingeschworenen Truppe zusammen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Wir sitzen alle im selben Boot. Wir tauschen Geschichten vergangener Reisen aus, geben uns Insider-Tipps und verbringen unzählige heitere Momente mit viel Gelächter. Je tiefer wir in diese unberührte Wildnis vordringen, desto mehr Momente purer Freude bringen uns noch näher zusammen. 

 

Abschliessend lässt sich sagen, dass wir die Magie des arktischen Winters mit all unseren Sinnen erleben durften. Das Licht, die Farben, die Kälte, das Eis und natürlich die Tierwelt.  In etwas so Hartem und Extremen liegt so viel Frieden und Anmut. Am Ende können all die Bilder die atemberaubende Schönheit Svalbards wohl einfangen, aber es kann niemals die Tiefe der Empfindungen vermitteln, die wir auf dieser unglaublichen Reise geteilt haben. Es war eine Reise, die unser Bewusstsein erneut verändert hat, und wir werden für immer dankbar sein für die Erinnerungen und Freundschaften, die wir an einem der schönsten und abgelegensten Orte der Welt gewonnen haben und für immer in unseren Herzen behalten werden.

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